Endlich: Die Römerstraße (6/11)

Es vergingen einige Tage ohne nennenswerte Ereignisse. Ich begann mich zu fragen, ob ich mit der Fibel und der Hipposandale die einzigen römischen Artefakte in diesem ganzen Quadratkilometer gefunden hatte. Ein Quadratkilometer, das sind 100 Hektar und somit 100, 200 oder noch mehr Arbeitstage eines Sondengängers. Das konnte ja noch heiter werden. Aber um Klarheit zu gewinnen, war es unbedingt notwendig, das Areal zumindest soweit flächendeckend abzusuchen, dass die Römerstraße, wo immer sie auch verlief, das abgesuchte Gebiet über eine längere Strecke durchqueren musste.

Eines Tages, ich suchte gerade auf einem ehemaligen Waldweg, traf ich auf ein Fragment einer Hipposandale. Hätte ich vorher kein solches Hufeisen gefunden, so hätte ich das Bruchstück vielleicht nicht erkannt, aber Fronthaken und Heckleiste sind eindeutig. Nach der vollständigen Sandale kein aufregender Fund.

30 m weiter fand ich ein weiteres Fragment, diesmal eine Heckleiste. Sollte ich mich der Trasse genähert haben? Ich suchte das Gelände beiderseits des Waldweges ab, fand aber überhaupt nichts.

Nach weiteren 10 m kam ein weiteres Bruchstück ans Tageslicht. Und dann kam es Schlag auf Schlag. Immer mehr Bruchstücke von Hipposandalen, in immer kleineren Abständen.

Fragment einer Hipposandale in situ Die hellen Steine unter der dunklen Humusschicht bilden vermutlich die ehemalige Oberfläche der Römerstraße.

Das Bild zeigt ein solches Fragment in situ. Man erkennt die verbogene Heckleiste mit dem charakteristischen Haken an ihrem Ende. Ich vermute, dass die hellen Steine die ehemalige Oberfläche der Römerstraße sind.

Um es kurz zu machen, nach einigen Tagen der Suche konnte ich eine eindeutig lineare Streuung von vielen Fragmenten von Hipposandalen über eine Länge von ca. 200-250 m im Gelände nachweisen. Ich hatte die Trasse gefunden. Die Funde selber haben keinen großen Schauwert, aber darauf kommt es auch nicht an. Ich hatte „meine“ Straße gefunden.

Zugegeben, die deutsche Archäologie würde nicht gerade den Atem anhalten, nur weil zu den bekannten 10.000 km Römerstraße noch weitere 250 m hinzugekommen waren. Dennoch, mein eigenes kleines Forschungsprojekt war erfolgreich, der Waldweg war ehemals eine Römerstraße erster Ordnung, die zwei Provinzhauptstädte miteinander verband. Eine Autobahn der Antike. Wann immer ich danach dort suchte, stellte ich mir die Wagen vor, die dort einst rollten.

Die zunächst gefundene, vollständige Hipposandale musste von jemandem stammen, der aus irgendeinem Grund die Trasse nicht nehmen wollte. Vielleicht ein Nonkonformist, der lieber eigene Wege ging, sich durch schwieriges Gelände quälte und dabei prompt das Eisen verlor. Ein Hoch auf die Rebellen.

Oder es war ein Pionier, der des Weges kam, als die Trasse noch nicht existierte. Vielleicht eine Art Pfadfinder, der für die Planung dieser Trasse das Gelände erkunden sollte. Eines Tages findet man bei Ausgrabungen vielleicht seinen Bericht. In Marmor gemeißelt steht dann da auf lateinisch „Verdammt mieses Gelände, beim Jupiter!“ Vielleicht ist es gut, dass die Funde nicht reden können. So bleibt Raum für Fantasie.

Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, und so müssen einige Dinge noch ungesagt und Funde ungezeigt bleiben. Nur soviel:



Auffälligkeiten

1) Insgesamt ist die Funddichte über die 250 m Trasse recht gering. Neben der wenige Meter breiten Trasse wurde sogar gar nichts gefunden. Es gibt jedoch einen kleinen Platz, der in einen Kreis mit 10 m Radius passt, wo die Funde in hoher bis extrem hoher Dichte lagen, teilweise nur 50 cm voneinander entfernt. Teilweise mussten die Fundkarten im Maßstab 1:50 oder 1:100 gezeichnet werden, damit die Kreuze sich nicht alle überlagerten.
Außerhalb dieses „Hot Spots“ hören die Funde schlagartig auf. Irgendetwas war da mal, ein Aktivitätsschwerpunkt. Vielleicht ein Rastplatz, an dem auch kleinere „Wartungs- oder Servicearbeiten“ durchgeführt wurden. „Salve, was darf es sein?“ „Die hintere rechte Sandale wechseln, aber dalli, der Präfekt erwartet mich!



2) Auf einer kleinen Teilfläche des Hot Spots von vielleicht 1 qm lagen dicht an dicht mehrere Schlackebrocken (Abfallprodukte der antiken Eisenverhüttung in einem Rennofen), die wie Schildkrötenpanzer geformt waren (Bild s.u.). Sie wirkten wie Kopfsteinpflaster. Aber erstens wäre eine Bedeckung der Trasse mit diesen Brocken unnötig aufwändig und damit unrömisch gewesen, und zweitens hätte ich dann viel mehr dieser Objekte finden müssen. Außerdem wurde so etwas meines Wissens noch nie beobachtet. Nein, vermutlich sind die Brocken kein Straßenbelag, sondern Überreste der Aktivitäten im Hot Spot.

Schlackebrocken Abfallprodukt der antiken oder mittelalterlichen Eisenverhüttung.

(C) Thorsten Straub, www.sondengaenger-deutschland.de